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ES SPIELT KEINE ROLLE - Sansibar

Wie wird die Religion auf Sansibar gelebt?

Zu Besuch auf der Insel im indischen Ozean, wo sich christliche Weihnachtsklänge mit dem Gesang des Muezzin vermischen.

Normalerweise hören wir die Muezzins aus den umliegenden Moscheen ihre Gebete ausrufen. Gestern tanzten durch unsere offenen Fenster aber die Töne von Weihnachtsliedern. Zum Leben erweckt von Kindern und Jugendlichen, die in der nah gelegenen Kirche üben für den Gottesdienst am Weihnachtsabend. Als wenig später tatsächlich die Stimme eines Muezzins melancholisch durch die Nacht tönt, habe ich das Gefühl in seinem Gesang die lieblichen Melodien des Kinderchors herauszuhören. Schuld daran ist Sansibar.

 

Als wir vor zwei Wochen hier ankamen, klangen, ich gebe es zu, die Rufe des Muezzins für mich nicht sehr melancholisch. Immer wenn ich zum Ende das unvermeidliche „Allahu Akbar“ hörte, verband ich es, ISIS sei Dank, mit Terror. Dies obwohl ich nie und nimmer der Meinung bin, dass alle Muslime Terroristen sind. Schockierend sich selbst zu beobachten und zu realisieren, was unbewusst passiert.Dann aber hat der Alltagstrubel von Sansibar uns erfasst und uns immer wieder Begegnungen mit Menschen vor die Füsse geworfen, die uns ihre Geschichten erzählten.

 

Es war da Christopher der Christ, der eine muslimische Freundin hat und dies weder vor seiner noch vor ihrer Familie verstecken muss. Es ist Zakya unsere selbstbewusste Vermieterin, die zum Dritten Mal verheiratet ist und ihr eigenes Gästehaus führt. Sie Muslima, ihr Mann auch, aber mit Rastas und einer Vorliebe für Motorräder. Sie betet, er scheint nicht zur Moschee zu gehen. Da ist Neema, deren zwei älteste Söhne gerade von der Koranschule kommen, als wir sie in einem kleinen Restaurant am Strassenrand treffen. Den Jüngsten, er heisst Ramadan, weil er während des Fastenmonates zu Welt kam, sitzt auf ihrem Schoss. Als er anfängt zu weinen, zieht sie ohne auch nur eine Sekunde zu zögern ihre Brust aus dem Kleid und stillt das Baby. Wir sind positiv überrascht, dass sie als muslimische Frau dies mitten in der Öffentlichkeit tut. Es scheint für sie das normalste der Welt. „Ich bin im Herzen Muslimin. Dies ist das Wichtigste“, sagt sie im weiteren Verlauf unseres Gesprächs und hat dabei keine Ahnung was für eine Inspiration sie ist.

 

Und dann treffen wir Sarah, eine Jüdin, die vor zehn Jahren von Israel nach Sansibar kam, unter anderem weil hier alle friedlich zusammenleben und sich gegenseitig respektieren. Sie führt einen kleinen Laden in einem Dorf, mitten auf der Insel und will dort, sobald sie die Bewilligung der Behörden hat, Touren anbieten, welche Einblicke in die Swahilikultur geben. Dazu hat sie Leute aus dem Dorf zu Touristenführern ausgebildet. „Dies ist mir wichtig, denn die Dörfer kommen mit all dem Tourismus hier zu kurz. Wir haben hier bloss 10 Häuser mit Strom, 300 haben keinen.“ Wir trafen sie, weil wir spontan am Strassenrand anhielten und nach einem Restaurant fragten, die ausserhalb der Touristenzonen sehr rar sind. Wenig später erhielten wir aus dem Nachbarhaus einen Teller voller Reis, Bohnen und Hähnchen serviert. Dazu eine Geschichte, die uns berührt.

 

Vor vielleicht 15 Jahren besuchte Sarah zusammen mit ihrer Tochter Tansania. Sie gingen auf eine Wanderung mit einem lokalen Führer. Der stellte sich ihnen zu Beginn des Tages als Francis, verheiratet und Katholik vor. Sie nahmen dies zur Kenntnis und marschierten los. Wenig später kam ihnen über eine Anhöhe ein Mann in einer langen weissen Robe und einem Käppi entgegen, offensichtlich ein Muslim. Die beiden begrüssten sich, sprachen zusammen und nach einer Weile hätte Francis zu ihnen gesagt: „Dies ist Juma, mein Bruder.“ Sie schüttelten sich die Hand und als sie nach einer Weile ihren Weg fortsetzten, fragte Sarah nach. „Also du meinst dein Bruder, weil ihr gute Freunde seid?“

„Nein, nein er ist mein Bruder.“

„Also dann habt ihr eine andere Mutter oder einen anderen Vater?“

„Nein, gleiche Mutter, gleicher Vater. Eine Familie.“

Die Frau, mit kurzen schwarzen Haaren, die bereits einige Bücher über die Swahilikultur und das Leben auf Sansibar geschrieben hat, erzählt lebhaft davon wie Francis sie auf ihre Fragen hin total erstaunt und ratlos angeschaut habe.

„Er hat überhaupt nicht begriffen, auf was ich hinauswollte. Also musste ich es formulieren.“ So fragte sie ihn, wie es sein kann, dass sein Bruder ein Muslim sei, er aber Katholik? Eine solche Frage hätte Francis offensichtlich noch nie gehört. Er erwiderte erstaunt: „Es ist halt einfach so. Spielt es eine Rolle?“

Nein! Es spielt keine Rolle und es sollte nirgends und niemals eine Rolle spielen.

 

Diese Gleichgültigkeit gegenüber der Religion der anderen wird auch hier auf dem mehrheitlich muslimischen Sansibar, welches zu Tansania gehört, aber autonom geführt wird, gelebt. Keiner werde Gezwungen in die Moschee zu gehen und keiner werde schräg angeschaut, wenn er auch tatsächlich nicht hingehe. Christen arbeiten, essen und leben gemeinsam mit Hindus und Moslem. Sie grüssen sich mit „Salam“ oder „Mambo!“ und alle nehmen es mit viel „pole, pole“ – Gelassenheit.

In unserem Reiseführer steht es käme auch hier vermehrt zu Zusammenstösse zwischen Muslimen und Christen. Wir sind erstaunt, als wir nach einer Woche auf der Insel diesen Satz lesen und fragen mehrere Leute was es damit auf sich hat. „Hier? Nein. Also, nein. Wir lassen einander in Ruhe.“, ist die Antwort, die wir von allen erhalten.

 

Natürlich ist auch hier nicht alles wunderbar. Die Strände ohne Hotels sind voller Abfall, Anfang des Jahres hatte Cholera für mehrere Monate die Insel und den Tourismus stillgelegt und bei den letzten Wahlen gab es Unstimmigkeiten. Die Regierung sei korrupt und es werde nur so getan, als ob es eine Demokratie gäbe, hören wir. Die Löhne sind tiefe, die Preise im Vergleich dazu hoch. Ein Lehrer verdient im Monat rund 75 Franken. Für vier Eier bezahlen wir auf dem Markt aber 70 Rappen. Und für eine Mahlzeit im Lokal, wo auch die Einheimischen Essen bezahlt man um die 4 bis 5 Franken. Kein Wunder erleben wir immer wieder, dass wir als Ausländer angebettelt werden. Sogar ein 95-jähriger Opa, den wir auf einem Fischmarkt treffen und mit dem wir uns eine Weile unterhalten, hat keine Scham uns am Ende des Gesprächs um 1'000 Shilling (50 Rappen) zu bitten.

Aber wenn es um Glaubensfragen geht, dann vermischen sich hier christliche Weihnachtsklänge wirklich mit dem Gesang des Muezzins.

 

Fröhliche Weihnacht Euch allen!

 

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