Warum haben wir Angst? Angst hilft uns zu überleben. Zumindest früher, als wir noch in der Wildnisslebten. Heute streifen die Säbelzahntieger vor allem noch durch unser Hirn und es gilt unsere Ängste zu hinterfragen.
Es raschelt hinter mir, ich drehe mich um und starre angestrengt in die Nacht. Zuerst nichts. Dann ein Augenpaar, welches kurz aufleuchtet, mich zu beobachten scheint. Etwas später rechts ein Glühen in der Dunkelheit. Was war das?
Ich stehe zwischen den geöffneten Hecktüren von Foxy und bin dabei, Gemüse zu putzen. Als das Knacksen und Rascheln im Gebüsch unmittelbar hinter mir nicht aufhört, schaue ich um den Bus herum und bin froh, Dylan dort zu sehen. Es sind nur Tiere da draußen, rede ich mir gut zu und konzentriere mich wieder aufs Kochen. Dylan steht vorne am Auto, den Laptop auf dem Beifahrersitz, den er kurzerhand zum Stehtisch umgewandelt hat. Er arbeitet, während ich hinten in der Küche das Abendessen zubereite. Mexikanische Burritos kommen auf den Tisch, der heute Abend in einem Wäldchen in der Nähe von Luxemburg steht.
Angst vor was genau?
Ich liebe es, draußen im Wald den Abend zu verbringen. Wenn die Strahlen der sinkenden Sonne durch die Blätter scheinen, finde ich das Rascheln von kleinen Füßchen im Unterholz auch noch ziemlich nett und stelle mir vor, dass es von ein paar jungen Füchsen stammt, die in den Büschen hinter uns herumtollen.
Mit Fortschreiten des Abends stehe ich aber dann plötzlich am Rande der Dunkelheit, die Bäume und Tiere verschluckt. Alles, was zurückbleibt, ist ein Rascheln hier, ein Knacksen da. Dann wieder ein kurzes Aufleuchten. Auch nach vielen Übernachtungen inmitten der Natur fühle ich mich in einem dunklen Wald immer noch nicht ganz so wohl, wie ich es mir wünsche. Mit den lauter werdenden Eulenrufen wird automatisch mein Kopfkino eingeschaltet. Gibt es Wildschweine hier? Oder gar Bären? Nein, jetzt hör mal auf, Bären sicher nicht und Wildschweine sind wirklich nicht so schlimm, beruhige ich mich selbst. Dann beginne ich, laut mit Dylan zu sprechen. Der durchschaut mich sofort. „Die Tiere haben mehr Angst vor dir als du vor ihnen.“ Ich weiß, natürlich. Und trotzdem bleibt da diese Restangst vor dem bösen Raubtier.
Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss ...
Als wir in Nordamerika waren, fuhren wir während längerer Zeit durch Gebiete, wo es effektiv Bären gibt und jede Nacht im Zelt (wir waren mit einem Mietauto auf Vortragstour unterwegs, während der Bus in der Schweiz stand) verbrachte ich damit, auf Geräusche zu lauschen und mir vorzustellen, wie die Bären um unser Zelt herumschleichen. Die Augen fielen jeweils erst zu, wenn mich die Müdigkeit hinterrücks überfiel. Im Süden der USA angekommen, schlief ich endlich wieder richtig gut. „Hier im Süden gibt es ja keine Bären“, dachte ich. Als ich am nächsten Morgen aufstand, sah ich in unmittelbarer Nähe des Zeltes ein Warnschild. Ich hatte es, als wir im Dunkeln unsere Behausung aufgebaut hatten – „So schön, hier! Am Tag sogar mit Seesicht!“ – nicht gesehen. Darauf stand: Achtung Alligatoren! Immerhin hatte ich eine Nacht gut geschlafen, bevor ich davon zu träumen begann, wie die Krokodile unser Zelt anknabbern.
Kopfkino abschalten!
Manchmal sind es auch Erzählungen von anderen, die das Kopfkino in Gang bringen. In Frankreich hatte uns die freundliche Kassiererin im Tankstellen-Shop gesagt, wir sollen „ja nicht auf dem Parkplatz hinter dem Gebäude übernachten“, sondern den Bus direkt vor der Türe des kleinen Ladens parken. „Damit wir euch die ganze Nacht über sehen können.“ Weil, so fuhr sie fort: „Da hinten, da wird jeder ausgeraubt. Die lassen Schlafgas rein und wenn ihr wieder aufwacht, ist alles weg. Faites attention!“ Passt auf! Ihre Stimme klang eindringlich.
Wir hatten nicht vorgehabt, auf dem Parkplatz zu übernachten, und machten uns erst eine halbe Fahrstunde später auf die Suche nach einem verlassenen Platz im Wald. Obwohl kein Dieb jemals in den Wald geht und sich denkt: „Lass mal sehen, ob heute irgendein Campingbus hier steht, den ich ausrauben könnte“, und ich mir dessen absolut bewusst bin, spielte mir mein Hirn in jener Nacht einen Streich. Wie in den meisten Situationen ist das Gefühl von Unsicherheit reine Kopfsache und es tut immer wieder gut zu reflektieren, wie schnell wir uns in dieser Hinsicht beeinflussen lassen.
Den Zauber der Nacht sehen
Zurück in den Wald nach Luxemburg: Als wir wenig später mit vollem Bauch und frisch geduscht unter der Bettdecke liegen, alle Türen zu sind und sich unser kleines Haus so richtig heimelig anfühlt, möchte ich an keinem anderen Ort der Welt sein. Die Füchse, Wildschweine und Bären können heute Nacht so wild durch den Wald toben, wie sie wollen.
„Wo ist eigentlich Geraldine?“, fragt Dylan und ich zucke mit den Schultern, während er mit einem T-Shirt Nachtfalter und Mücken zum Fenster hinauswedelt. „Ich sah sie das letzte Mal im Kasten unter der Spüle. Ist aber eine Weile her.“
Geraldine ist unsere Busspinne, die zeitgleich mit uns einzog. (Ja, auch die irrationale Angst vor Spinnen kann überwunden werden.) Dann glüht kurz etwas auf. „Oh! Ein Glühwürmchen!“ Es hat sich ebenfalls zu uns hinein verirrt. Freude breitet sich in mir aus. Dieses kleine leuchtende Wesen gibt dem dunklen Wald seinen Zauber zurück. Ich schiebe den Vorhang des Rückfensters zur Seite und beobachte im Bett liegend die Dunkelheit, die immer wieder aufflackert, glimmert und glüht. Auch der dunkle Wald hat etwas Schönes, ich muss bloß bereit sein, die Schönheit zu sehen.