In einem Entwicklungsland nicht nur als Reisende unterwegs, sondern teil der Familie zu sein, öffnet die Augen auf eine andere Weise. Natürlich hatte ich die Abfall-Feuer zuvor auch schon in Indien oder anderen Ländern wahrgenommen und mir war klar gewesen, was da jeweils verbrannt wurde. Wenn dir dann aber plötzlich selbst keine Alternative bleibt, ausser den Müll zu verbrennen dann ...
Die Affen brüllen und hüpfen über unseren Köpfen von Palme zu Palme. Ein Leguan klebt am Baumstamm, als wäre er von der Schwerkraft befreit, während das Streifenhörnchen laut zirpend Alarm schlägt. Irgendwann schleicht eine Kobra vorbei, die die kleinen Tukane nervös aufschreien lässt. Es sind nur die Geräusche der Natur, die uns umgeben. Kein Strassenlärm. Nichts.
„Es ist wunderschön hier!“ denke ich, bis ich wieder auf meine Mülltüte blicke und danach die 10. Zahnbürste, die 34. PET-Flasche, den 27. Flipflop und die wohl 100. Plastiktüte einsammle. Dylans Mutter ist gerade erst hier hin gezogen und wir räumen den Abfall der Vorgänger in ihrem Garten auf. Sie haben während Jahren ihren Müll hinter dem Haus entsorgt. Nicht weil sie Umweltsünder sind, sondern weil es hier im ländlichen Sri Lanka keine Müllabfuhr gab und bis heute nicht gibt. Die einzige Alternativen für die Menschen hier: Den Müll im Garten zu vergraben oder zu verbrennen. Mit Einbruch der Dämmerung steigen jeden Abend Rauchschwaden gegen den Himmel, die von kleinen Feuerchen am Strassenrand oder hinter dem Haus stammen.
15 Millionen Plastiksäcke pro Tag
In einem Entwicklungsland nicht nur als Reisende unterwegs, sondern teil der Familie zu sein, öffnet die Augen auf eine andere Weise. Natürlich hatte ich die Abfall-Feuer zuvor auch schon in Indien oder anderen Ländern wahrgenommen und mir war klar gewesen, was da jeweils verbrannt wurde. Aber hier im Garten zu stehen und den Müll selbst einzusammeln, um ihn gezwungenermassen nachher auch selbst zu verbrennen, macht definitiv nachdenklicher.
Zumal wild zerstreuter Abfall nicht nur hier hinter dem Haus zu finden ist: Am Fluss wo die Menschen Kleider, Geschirr und sich selbst waschen, lassen sie den Müll genau so liegen, wie in der Anlage rund um ein buddhistisches Kloster, wo sie als Pilger unter dem Baum gepicknickt haben. Dass Hunde, Affen, Kühe oder zum Teil die Elefanten im Abfall herumwühlen und so den Plastik weiter verteilen oder fressen, kommt noch hinzu.
Werden da die im Tempel zuvor angehäuften Karma-Punkte nicht gleich wieder abgezogen? Offenbar ist Buddha da noch gnädig. Allerdings, so sagt Dylan, sollte den Politikern, die sich keinen Dreck um den Müll scheren, wohl am meisten Karma-Punkte abgezogen werden.
Das Internet verrät mir, dass auf Sri Lanka jeden Tag schätzungsweise 15 Millionen Plastiksäcke ver(sch)wendet werden. Bei 22 Millionen Inselbewohner eine durchaus realistische Zahl. Denn beim Einkaufen wird alles sofort ungefragt in eine Plastiktüte gesteckt und wir komisch angeschaut, wenn wir immer wieder sagen: „Nein, kein Plastiksack bitte!“
Vieles geht ohne Plastik
Äusserst positiv fielen mir allerdings einig Selbstverständlichkeiten auf, die den Umgang mit Ressourcen schonen und die wir im Westen, dank des Wohlstandes, vergessen haben. Leere Glasflaschen werden weiterverwendet, um Wasser kühl zu stellen oder Kokosnussöl direkt im Laden abzufüllen. Reis, Linsen, getrockneter Fisch, Gemüse und Früchte werden praktisch überall ohne Verpackung verkauft. Jedes Teil der Kokosnuss-Palme wird verwendet: Aus den Fasern werden Besen, Bürsten und natürliche Schnüre hergestellt. Kochlöffel werden aus den harten Kokosnussschalen geschliffen und anstatt ein Plastikschwamm wird ebenfalls ein Stück der rauen äusseren Schale der Kokosnuss für den Abwasch verwendet. Das Abwasser aus der Küche wird in vielen Haushalten in einem Becken gesammelt, um damit die Pflanzen im Garten zu giessen. Die fettigen Finger werden in der Imbissbuden an alte Rechnungen geputzt und der Apotheker reicht mir das Antimückenmittel in einer aus Zeitungspapier zusammengefalteter Tüte. Und gehen wir zum Picknick, so wird das Mittagessen in Bananenblätter eingewickelt. Es würde also vieles immer noch ohne Plastik funktionieren, wenn nicht die Moderne oder der Wohlstand es einfacher gemacht hätte Plastiksäcke zu produzieren, die wir nach bloss 15 Minuten wieder wegschmeissen.
Veränderung am Horizont
Aber Sri Lanka beginnt sich zum Glück langsam um das Problem zu kümmern. Weil letztes Jahr eine Mülldeponie, die es nur in den grossen Städten gibt, wo ein regelmässiges Müllabfuhr-System besteht, zusammenstürzte und dabei einige Menschen und Häuser unter sich begrub, wurde das Abfallproblem endlich auch in der Politik diskutiert. Seit Anfang Jahr sind nun Styropor-Verpackungen für Lebensmittel, sowie Plastiksäcke mit einem gewissen Anteil an Polyethylen und einige weitere Plastikartikel verboten. Ein Anfang ist also gemacht.
Als Reisende und Konsumenten können auch wir einen grossen Teil dazu beitragen, dass wunderschöne Reiseziele, zu denen Sri Lanka definitiv zählt, künftig mit weniger Müll zu kämpfen haben. Wir verwenden seit einiger Zeit zum Beispiel Bambus-Zahnbürsten und Seife anstatt in Plastik verpackte Shampoos. Rasiert wird nicht mehr mit Plastikdingern, sondern mit einem Rasierhobel (oder im Falle von Dylan viel weniger häufig. ;-). Zum Einkaufen geht es mit der eigenen Stofftüte und Wasser wird wann immer möglich gefiltert anstatt in PET Flaschen gekauft. Und stabile Einkaufstaschen, die Migros und Coop bei uns als Wiederverwendbar verkaufen, sind in Sri Lanka beliebte Geschenke, da sie eine gute Alternative zu den Plastiktüten darstellen. Als Konsumenten versuchen wir (in Europa wie in Übersee) selbst, möglichst wenig Abfall zu produzieren und nicht in den Schnellimbissen zu Essen oder Café zu trinken, die Müll ohne Ende produzieren.
Und sind wir ab Mitte Februar wieder mit unserem Bus unterwegs, so haben wir biologisch abbaubare Tüten dabei und sammeln auf was wir an Müll in der Natur finden, um es später dahin zu bringen, wo es hingehört.