Auch wenn sich die Situation in Kolumbien in den letzten Jahren verbessert hat, formen sich noch bei vielen Menschen im Kopf automatisch negative Schlagzeilen, wenn sie von dem Land hören. Darin enthalten höchst wahrscheinlich die Worte: Farc, Drogen oder Kidnapping. Die heutige erste positive Story von Dylan zeigt, dass wir Kolumbien mit anderen Worten verbinden sollten.
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Als ich auf seiner Weltreise 2013 Kolumbien erreichte, erlebte ich von überall her eine unglaublich schöne Gastfreundschaft. Rückblickend waren die Soldaten, auf die ich im kleinen Dschungeldorf (wo ich nach meiner Flossreise zum ersten Mal in Kolumbien Land betrat) traf, die besten Vorboten für das, was noch kommen würde. Sie hiessen mich, den fremden Mann mit seinem kuriosen Floss willkommen, ohne meinen Pass zu überprüfen. Was dort draussen im Darien Dschungel galt, war einzig die Intuition, das Bauchgefühl. Ich wurde zu aller erst als Mensch wahrgenommen und nicht als Bedrohung. Die Soldaten, welche während Wochen im dichten Dschungel unterwegs waren und ihre Nahrung dementsprechend in Rationen mit sich trugen, zögerten nicht, jede ihrer Mahlzeiten mit mir zu teilen. Ich erhielt täglich von jedem Soldaten einen Löffel voll Maisbrei, oder was gerade auf dem Speiseplan stand, direkt in meinen Teller gefüllt. Eine Geste, die mir damals täglich Demut lernte und die mich beim Gedanken daran noch heute mit grosser Dankbarkeit erfüllt.
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Ein paar Wochen später, ich hatte nun das Strassennetzwerk und somit die Zivilisation wieder erreicht, fuhr ich durch Bogota. Eine Welt so ganz anders, als im kleinen Dorf zwischen Pazifik und Dschungel. Es wuselte wieder von Menschen, Autos und Lärm. Alle Sinne waren plötzlich wieder überflutet von Eindrücken und genau in diesem Grossstadt-Dschungel hatte Bruce das Motorrad genug. Alle die Herausforderungen auf dem Meer hatte er gemeistert, aber nun plötzlich war fertig lustig. Nach einer ersten Inspektion stand fest: Der Anlasser war kaputt. Ich stellte mich an den heissen, staubigen Strassenrand, um zu überlegen, wie es von da aus weiter gehen sollte. Einem aufmerksamen Kolumbianer entging trotz des Gewusels der Stadt, der Fremde, der da etwas hilflos neben seinem Motorrad stand, nicht. Er hielt an und frage, was los sei.
Obwohl ich nur schlecht Spanisch sprach und der Fremde kein Englisch, entstand so etwas wie eine Konversation. Der Mann lud mich erst mal zum Essen ein. Da ich sowieso gerade nichts anderes tun konnte, ging ich gerne mit dem Fremden mit. Nach einer Weile bezahlte der Mann die Rechnung und sagte dann zu mir, solle auf ihn warten und verschwand.
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In der Zwischenzeit war hinter meiner Stirn ein regelrechtes Gedanken-Karussell im Gang. Wie würde ich zu einem Ersatzteil kommen? Wo bestellen? Wie lange würde ich warten müssen?
Ich war die letzten drei Jahre ohne Termine um die Welt gereist und hatte sich nie etwas aus Planänderungen gemacht. Aber hier in Kolumbien sah die Situation zum ersten Mal etwas anders aus. Ich würde von hier aus bald zurück in die Schweiz fliegen und musste somit für einmal zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein. In Gedanken versunken, machte ich sich quer über die Strasse zurück zu seinem Motorrad, als plötzlich eine andere BMW GS Maschine neben mir hielt. Der Fahrer schaltete den Motor aus und zog den Helm vom Kopf. Erst da erkannte ich den Mann von zuvor.
«Das ist mein Motorrad. Ich habe das genau gleiche Model wie Du. Und somit auch den Anlasser, den du brauchst. Du kannst ihn bei mir ausbauen und bei deinem Motorrad wieder einbauen. Ich besorge mir dann einen Neuen.» Er lachte über das ganze Gesicht, als er bei mir gleichzeitig Erstaunen, Skepsis, Freude und schliesslich Sprachlosigkeit erblickte.
«Das kann ich unmöglich annehmen,» war mein erster Gedanke, aber der Mann strahlte eine solch immense Freude aus, weil er jemandem helfen konnte, dass er mich irgendwann davon überzeugte, das Angebot ohne Austausch von Geld anzunehmen.
Hilfe anzunehmen ist nicht immer leicht, tut man es doch, so wird das Herz auf alle Fälle leicht und weit.