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LEBENSMUT

Wenn sie dir sagen, du wirst nicht älter als 20 und du dir zum 30. Geburtstags ein Motorrad kaufst und mit 37. Lust aufs Reisen hast. Heute teilt Pascal seine Geschichte mit uns. 

 

Erzählt von Pascal Isliker, aufgeschrieben von Martina Zürcher

 

"Ich war sieben und mein Bruder zehn Jahre alt, als nach einer „normalen“ Grippe unsere Blutwerte zu schlecht blieben. Als sich diese nicht stabilisierten, wurden wir ins Kinderspital Zürich überwiesen und mussten einige Test über uns ergehen lassen. Irgendwann haben sie uns auch eine Knochenmarkprobe genommen und dabei herausgefunden, dass wir beide eine Fanconi Anämie haben. Dies ist eine sehr seltene Erbkrankheit, die durch ein zunehmendes Versagen des blutbildenden Knochenmarks und in der Folge durch eine schwere Blutarmut sowie ein erhöhtes Krebsrisiko und etliche andere Krankheitsbilder gekennzeichnet ist. Unseren Eltern wurde damals gesagt, dass wir vielleicht zwanzig Jahre alt werden.

Als Kind ist man sich zum Glück dieser begrenzten Lebenserwartung nicht so sehr bewusst. Ich glaube, für unsere Eltern war es viel schlimmer. Aber umso älter ich wurde, umso bewusster wurde mir der schlechte Zustand meiner Gesundheit. Ich fand schliesslich dank der Hilfe eines damaligen Gemeinderates eine Lehrstelle als Bauzeichner und je mehr ich begann auf meinen eigenen Füssen zu stehen, desto mehr setze ich mich gezwungenermassen mit meiner eigenen Vergänglichkeit auseinander. Während mein Bruder sich von allem abschottete und von der IV lebt, war es mir immer wichtig, mein eigenes Geld zu verdienen, etwas zu erreichen, aktiv zu sein. Trotz allem zu leben.

Seit meinem 20. Geburtstag ist jedes Jahr, welches ich erhalte, ein Geschenk und ich erfüllte mir Schritt für Schritt, aber konsequent, meine Träume. Als ich etwa 14 Jahre alt war, nahm mich mein Onkel mit seiner Harley mit auf eine kleine Ausfahrt. Von dem Moment an war mir klar, dass ich mir mit 30 meine eigene Harley kaufen werde. Mit 26 habe ich den Motorradführerschein gemacht. Und zu meinem Dreissigsten stand die Maschine dann tatsächlich in meiner Garage. 

Natürlich war es nicht immer einfach, positiv zu bleiben. Es gab Momente, wo ich mir das Leben nehmen wollte, einfach damit ich den Zeitpunkt bestimmen kann, an dem ich sterbe und nicht die Krankheit. Aber ich hatte in den Situationen zum Glück gute Begleitung von Therapeuten. Heute bin ich tatsächlich 37 Jahre alt, obwohl ich zusätzlich gegen die Nebenwirkungen der lebenserhaltenden Medikamente, die ich die letzten zwanzig Jahre einnehmen musste, kämpfe.

Bei mir wurde im letzten Herbst einen Lebertumor entdeckt. Und obwohl die Ärzte einmal mehr meinten, es gäbe für mich nur noch lebensverlängernde Massnahmen, habe ich mir gleich nach der Diagnose ein KTM790 Adventure Motorrad gekauft, um damit nach der erfolgreichen Behandlung auf Reisen gehen zu können.

Glücklicherweise habe ich vor einem Jahr meine Verlobte kennengelernt. Sie ist Naturheilpraktikerin und unter anderem dank ihren Therapieansätzen hat sich der Tumor innert kürzester Zeit um das Vielfache verkleinert. Meine Partnerin will, sobald als möglich anfangen selbst Motorradfahren zu lernen und sucht jetzt schon das richtige Motorrad für sich. Unser Ziel ist es nach der erfolgreichen Tumorbehandlung (und nach der Coronakrise) gemeinsam reisen zu gehen. Wir bleiben optimistisch und bauen uns gegenseitig immer wieder auf. Wir haben ein gemeinsames Ziel, welches uns viel Energie gibt. 

 

„Ich bin heute bereits seit acht Monaten mehrheitlich zuhause. Denn ich kann, wegen meinem schlechten Blutbild, meine Medikamente nicht mehr einnehmen. Alle vier Wochen erhalte ich eine Bluttransfusion, die mir wieder neue Lebensenergie spendet. Da aber mein Immunsystem schwach ist, bin ich nur noch sehr selten unter Menschen. 

Trotzdem denke ich, dass die momentane Zeit eine gute Ruhe in die Gesellschaft bringt und die Menschen allgemein wieder Zeit finden, über den eigenen Lebensstil nachzudenken und verfalle durch diese neue Bedrohung nicht in Panik.

Ich gehe nicht mehr selbst einkaufen, sondern lasse meine Freundin alles für mich einkaufen. Zuhause verpacke wir alles neu, damit sich auch wirklich keine Viren und Keime in meiner Küche einschleichen können. Wirklich angespannt bin ich jeweils nur, wenn ich für eine weitere Bluttransfusion ins Spital muss und danach auf die aktuellen Blutwerte warten muss. Zudem ist da ja noch der Lebertumor, den ich auch dabei bin zu bekämpfen. 

Entscheiden ist, dass ich mich beschäftige. Ich lerne Italienisch und Gitarre zu spielen. Und freue mich an meinem schönen Zuhause und den Garten voller Eidechsen und Holzbienen. Jetzt kann ich den Garten frisch bepflanzen und mir für die Sitzecke einen Windschutz bauen. Es ist immer etwas los bei mir und Langeweile kommt selten auf. 

Wird es dann doch mal schwieriger, zerre ich Kraft und Lebensenergie von meinen vergangenen Motorradreisen, die ich zusammen mit meiner Harley gemacht habe. 

Wir fuhren zum Beispiel gemeinsam durch Österreich, Slowenien, Kroatien und Italien zurück in die Schweiz. Als wir ein paar Tage unterwegs waren, leuchtete plötzlich eine Warnlampe in meinem Cockpit auf und ich wusste genau, was dies bedeutete. Ich fuhr also in die nächste Werkstatt. Aber leider hatten die Mechaniker dort kein Interesse mein Harley-Motorrad zu reparieren, klärten jedoch ab, wo ich ein Ersatzteil bekommen konnte. Sie fanden einen Alternator für meine Maschine auf der anderen Seite Österreichs. Ich nahm die Herausforderung an und machte mich, immer mit dem Wissen im Hinterkopf, dass der Motor jeden Augenblick dein Geist aufgeben konnte, auf direktestem Weg in Richtung Ersatzteil. 

Allerdings gab es dann doch ein paar Umwege: Nachdem ich einem heftigen Unwetter ausweichen musste, war die Strecke nämlich plötzlich dreimal so lang, wie ursprünglich geplant. Aber ich erreichte, wenn auch mit rauchendem Alternator, die Werkstatt. Die Leute dort waren supernett und hilfreich und tauschten, obwohl sie eigentlich schon Feierabend hatten, das Teil an meiner Harley noch am selben Abend aus. 

Nach alle den unerwarteten Anstrengungen hatte ich vor direkt zurück in die Schweiz zu fahren und die Reise frühzeitig zu beenden. Aber am nächsten Morgen traf ich an der Tankstelle auf eine kleine Gruppe Motorradfahrer und kam mit ihnen ins Gespräch. Sie schwärmten von Slowenien und rieten mir meine Zeit zu nutzen und doch noch eine Tour zu machen. Diese spontane Begegnung und die Begeisterung der mir fremden Motorradfahrer schafften es, mich zu motivieren. Wenig später bog ich in Richtung Slowenien ab. Von da an begann eine sehr schöne Reise mit wunderbaren Begegnungen und genialen Strassen, welche auch mal im nirgendwo endeten. Ein Erlebnis, von dem ich gerade in der jetzigen Zeit immer noch zerre und von dem ich noch viel erzählen könnte.“ 

 

Pascal hat eine Webseite, auf der er Eltern mit Kinder, die an der Fanconi Anämie leiden, Unterstützung und Begleitung anbietet. Als Betroffener kann er auf viele wichtige Ressourcen zurückgreifen. www.fanconi-schweiz.ch 

 

IMPRESSUM:

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